ESG im Schatten von Krieg, Inflation und Energiesorgen
Von Carsten Böhme, Managing Partner & CEO Germany
Krieg, Rezession, Inflation und eine ungeahnte Energiekrise – für die Menschen in Europa scheint ein harter Winter vor der Tür zu stehen. In erster Linie natürlich in der Ukraine, aber nicht nur. Auch bei uns in Deutschland schrillen die Alarmglocken. Wie schlimm es letztlich wird, darüber streiten die Fachleute. Die Politik sucht händeringend nach Auswegen und beschwichtigt, Funktionäre warnen und fordern finanzielle Hilfen für das jeweilige Klientel. Und was machen die Verantwortlichen in den Unternehmen? Sie müssen weiter Entscheidungen treffen, in einem extrem volatilen, undurchsichtigen Umfeld. Jeden Tag.
Vor diesem Hintergrund sind Veränderungen in den Unternehmen keine Sondersituation mehr, das sogenannte Change-Management ist zum Alltag geworden. Dabei hat die Komplexität für Unternehmen schon seit einiger Zeit zugenommen. Neben den jüngsten Sorgen werden sie von großen Technologiesprüngen, Lieferkettenproblemen oder einem ausgeprägten Fachkräftemangel herausgefordert. Brüssel hatte zudem mit dem Green Deal vor bereits fast drei Jahren den Startschuss für künftige Kapitalallokationen im Hinblick auf die europäischen Klimaziele gegeben. Es gibt heute kaum eine Investorenpräsentation ohne ein mehr oder weniger ausführliches ESG-Kapitel.
Worauf kommt es für Unternehmen jetzt an?
Natürlich müssen in den Unternehmen seit jeher strategisch und operationell schwierige Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden: zu Produktentwicklungen, Produktionsprozessen oder Standortplanungen mit entsprechend hohem Kapitaleinsatz. Jedoch sind vor dem Hintergrund der extremen Unsicherheit kostspielige Fehlentscheidungen wahrscheinlicher geworden. Aber auch die vermeintlich richtigen Entscheidungen können in der Umsetzung nicht gänzlich gelingen, vor allem, wenn die damit verbundenen Änderungen nicht richtig begleitet werden.
Damit in der aktuellen Krisensituation Veränderungen in den Unternehmen selbst, aber auch darüber hinaus von den anderen Stakeholdern mitgetragen werden, bedarf es einer klaren, überzeugenden Kommunikation. Die Notwendigkeit bisheriges Verhalten und Einstellungen zu ändern, muss auch vor dem Hintergrund der komplexen Wirtschaftslage erläutert werden. Neue begleitende Prozesse und Kommunikationsplattformen bzw. -foren ebnen der Veränderung den Weg – der dann auch nachvollzogen und angenommen werden kann. Sollten Verständnis oder auch Fähigkeiten im Team fehlen, muss mit entsprechenden Informationskampagnen, auch ganzen Weiterbildungsmodulen, schnell agiert werden. Und schließlich muss die Unternehmensspitze jegliche Veränderung als Vorbild deutlich vorleben. Je größer die Veränderung, desto sichtbarer.
Nachhaltigkeitsziele nicht aus den Augen verlieren
Welche Rolle spielt in diesem Umfeld das Thema ESG? Alle Umfragen bei Konsumenten und Investoren zeigen, dass die damit verbundenen Themen langfristig von sehr großer Bedeutung bleiben. Krieg hin, Inflation her. Wenn Unternehmen auf der Kostenseite nun unter enormen Druck, technologisch im Energiebereich mit dem Rücken zur Wand und die Unternehmensspitze emotional am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehen, dann sollte nicht unüberlegt mit dem Thema ESG umgegangen werden. Werden bereits erreichte KPIs eingerissen, bedarf es Erklärungen. Das Festhalten an einer langfristigen Guidance gibt zusätzliche Sicherheit. Eine unvermeidbare, temporäre Änderung der Prioritäten ist erklärbar – ein emotionaler Abgesang auf Energiewende und Klimawandel dagegen dürfte Unternehmen schnell wieder einholen.