ESG – welche Entscheidungen stehen auf EU-Ebene an?
Dr. Götz Schlegtendal & Brandon Mitchener, Managing Partner München/Brüssel, 7. Dezember 2020
Die EU-Kommission sieht in Klimawandel und Umweltzerstörung existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt und hat daher ein umfassendes Maßnahmenpaket initiiert. Mit dem europäischen Green Deal soll die Einhaltung des Pariser Abkommens bis 2030 und die Erlangung der Klimaneutralität des europäischen Wirtschaftsraums bis 2050 erreicht werden. Außerdem wird ein Wirtschaftswachstum angestrebt, das von der Ressourcennutzung entkoppelt ist. Der Weg dorthin soll jedoch im Einklang mit Mensch und Region erfolgen.
Der Europäische Green Deal besteht aus einem allumfassenden Paket rechtlicher Initiativen, die sich von der Landwirtschaft über Recycling und Kreislaufwirtschaft bis hin zu Smart Mobility und nachhaltigem Industriedesign erstrecken und von nachhaltigen Finanzierungen flankiert werden. Alle Maßnahmen sollen eine neue Wachstumsstrategie unterstützen, die den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft ermöglicht. Die EU-Kommission will die europäische Wirtschaft unmittelbar zu nachhaltigem Handeln bewegen.
Parallel soll aber auch über den Kapitalmarkt Druck ausgeübt werden. Dieses „Nudging“, im Sinne eines Schupsens oder Anstoßens der Unternehmen, erfolgt durch eine aktive Beeinflussung der Kapitalmärkte, sodass Investitionen und Kredite in Projekte mit nachhaltigem Charakter fließen. Basis dafür ist der EU-Aktionsplan „Sustainable Finance“. Dazu hat die EU neben zwei Klimaschutzzielen vier weitere Ziele in Bezug auf den Umweltschutz definiert. Die EU interpretiert ESG aber in einem breiteren Zusammenhang: Es geht nicht nur um das verantwortungsbewusste Handeln bei Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen, sondern auch um die Einschätzung und den Umgang mit möglichen Risiken, die daraus erfolgen könnten. Betroffen sind zahlreiche börsennotierte Konzerne, aber auch privatwirtschaftliche Unternehmen, die beispielsweise auf Kredite oder andere Finanzierungen angewiesen sind.
Bereits seit 2018 müssen börsennotierte Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern und einigen weiteren Voraussetzungen im Lagebericht eine sogenannte nichtfinanzielle Erklärung abgeben. Mit der angekündigten EU-Taxonomie-Verordnung wird nun der nächste Schritt gegangen. Ab dem Jahr 2021 wird diese für bereits berichtspflichtige Unternehmen, aber auch Banken und Finanzdienstleister obligatorisch sein. Die Taxonomie beinhaltet eine Offenlegungsverordnung hinsichtlich nachhaltig deklarierter Finanzprodukte sowie Berichtspflichten in Bezug auf die Bereitstellung von Informationen durch berichtspflichtige Unternehmen. Zunächst sind die klimabezogenen Umweltziele zu berücksichtigen, ab 2023 dann alle sechs Umweltziele sowie Mindeststandards für soziale und Governance-Aspekte. Diese Neuerungen sind bereits auf EU-Ebene beschlossen. Als Nächstes erfolgt die Festlegung der tatsächlichen Klassifizierung, indem für jedes relevante Umweltziel bzw. jeden relevanten Sektor technische Überprüfungskriterien in Form von delegierten Rechtsakten geschaffen werden. Bei der Ausweitung der Berichtspflicht geht es darum, dass die Unternehmen den EU-Taxonomie-konformen Anteil ihrer Aktivitäten zu berichten haben, wenn sie einer Taxonomie-pflichtigen Branche angehören.
Diskutiert wird auf EU-Ebene des Weiteren eine Ausweitung der CSR-Berichtspflicht. Durch eine Herabsetzung der Arbeitnehmerzahl wären mehr börsennotierte Unternehmen betroffen. Überlegt wird aber auch die Ausdehnung auf andere Rechtsformen.
Insgesamt werden Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen gestellt, die von einem überaus ambitionierten Zeitkorsett begleitet werden. Für viele kleine und mittelständische Unternehmen ist das in Eigenregie kaum zu bewerkstelligen.