Die Patent-Reform in Deutschland – juristische Chance oder kommunikative Herausforderung?
Christoph Baller, Senior Consultant Berlin, 14. Juni 2021
Deutschland gilt als Land der Erfinder. Erfindungen werden daher in Deutschland traditionell stark geschützt. Zum ersten Mal in 10 Jahren wurde nun eine Kompromiss-Reform des deutschen Patentrechts verabschiedet. Vorausgegangen waren langwierige Diskussionen innerhalb der Bundesregierung und im Bundestag. Damit erfährt jene Institution eine Überarbeitung, die in den letzten Jahren zu spannenden Rechtsstreitigkeiten wie Qualcomm vs. Apple oder Nokia vs. Daimler geführt hat. Tatsächlich aber werden nur wenige der jährlich 800 Verfahren an die Öffentlichkeit getragen. Diese werden dann aber medial umso genauer beobachtet.
Im Zentrum der Reform steht die Möglichkeit, eine Unterlassung zu erwirken. In der Vergangenheit konnten Patenthalter mehr oder weniger automatisch die Nutzung des Patents bis zur Klärung oder Einigung gerichtlich untersagen lassen.
Von Pharma bis Tech – die Unterlassung wird geschwächt, der Richter gestärkt
Politisch regte sich Widerstand gegen die Reform. In einer Allianz aus innovationstreibenden Unternehmen und Verbänden warben unter anderem Siemens, BASF, Ericsson, der VCI und der vfa für den Erhalt des Status quo. Sie fürchteten Nachteile durch die Reform und sahen sogar eine Gefahr für den Forschungsstandort Deutschland, sollte der Patentschutz gelockert werden.
Auf der anderen Seite stand die verwertende Industrie, insbesondere die Automobilindustrie und Telekommunikationsanbieter. Bei ansteigender Patentzahl in vielen Endprodukten fürchteten sie vermehrt Klagen und Produktionsstopps aufgrund von erfolgreichen Unterlassungen.
Die Reform stellt nun dem Recht auf Unterlassung die Begriffe „Treue und Glaube“ sowie „unverhältnismäßige Härte“ für Beklagte und Dritte entgegen. Diese müssen nachweisen, dass alle Mittel ausgeschöpft wurden, um Patentverletzungen zu vermeiden und eine Unterlassung abzuwenden. Durch diese Hürden ist davon auszugehen, dass mehr Verfahren durch die Richter entschieden werden. Schließlich wird der Zugang zum wichtigsten Druckmittel für Patentinhaber, der Unterlassung, erschwert.
Für die Pharma-Industrie könnten zukünftige Urteile weitreichende Folgen haben. Denn ein Bezug auf „unverhältnismäßige Härte“ gegenüber Dritten kann sich als moralisches Damoklesschwert herausstellen, wenn Patienteninteressen angeführt werden.
Der juristische Gewinner im Gericht braucht auch einen moralischen Sieg in der Öffentlichkeit
Werden Patentverfahren in die Öffentlichkeit getragen, gibt es zwei Verfahren: eines im Gerichtssaal, geführt durch Anwälte und bestimmt durch Richter, ein Zweites in den Medien, geführt durch die Kommunikation und bestimmt durch die Öffentlichkeit. Hierbei gilt die Unterlassung oftmals als moralischer Sieg. Geschieht dies seltener, verändert sich die Kommunikation. Die Aspekte der Verhältnismäßigkeit werden dann in den Vordergrund der Diskussion gerückt und sind auf dem Weg zum moralischen Sieg elementar. Es geht nicht mehr alleine darum, die besseren Argumente für die Herkunft oder Bedeutung eines Patents zu haben, sondern die Auswirkungen einer Unterlassung auf Zulieferer, Kunden und Konsumenten zum Teil der Kommunikationsstrategie werden zu lassen und Kommunikationsabteilungen müssen die eigene Argumentation ergänzen und noch präziser aufbereiten. Dafür ist es wichtig, diese gezielt in den Medien, aber auch in der Politik zu positionieren. Denn niemand möchte als Patent-Troll, der der Gesellschaft ein Produkt vorenthält, gelten. Das gilt insbesondere für kritische Bereiche wie Telekommunikation, Pharmazie und Umwelt.